Thomas von der Vring
Januar 2000

Schwerpunkte einer wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Debatte in Europa

Anlage: Logik der Beschäftigungspolitik

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Schwerpunkte
einer wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Debatte
in Europa

 

A. Zum aktuellen Entwicklungsstand der Beschäftigungspolitik der Europäischen Union

  1. Im Rahmen der Unionspolitiken ist der Zusammenhang von Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bislang noch unterentwickelt. Während Binnenmarkt und Währung dem europäischen Regime unterliegen und selbst die Budgetpolitiken der Mitgliedstaaten einem gemeinschaftlichen Reglement unterworfen sind, ist die Beschäftigungspolitik weitestgehend nationale Angelegenheit geblieben. In dieser wirtschaftspolitischen Rollenteilung droht ein wichtiger Aspekt traditioneller Beschäftigungspolitik verloren zu gehen: die politische Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Endnachfrage.
  2. Gleichwohl haben sich seit dem Delors-Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" von 1993 insbesondere die Tagungen des Europäischen Rates seit dem Gipfel von Essen (Dez. 1994) in einer Weise mit den Beschäftigungsaspekten der europäischen Wirtschaftspolitik befaßt, die Umrisse einer zukünftigen europäischen Beschäftigungspolitik erkennen lassen – Luxemburg (Dez. 1997), Cardiff (Juni 1998) und Köln (Juni 1999).
  3. Daß bei der Konzipierung einer europäischen Beschäftigungspolitik die Koordination nationaler Aktionen im Vordergrund steht, ist im Rahmen der gegenwärtigen Unionsverfassung unausweichlich. Die Union hat allerdings in ihrer Geschichte gezeigt und gelernt, daß auch unter solchen Bedingungen wirksame Politik funktionieren kann, wenn die beteiligten Regierungen ernsthaft daran interessiert sind. Wenn die schönen Gipfelbeschlüsse der letzten Jahr zur Beschäftigungspolitik so geringe Wirkungen gehabt haben, dann lag das weniger an den Mängeln europäischer Zuständigkeit, sondern in erster Linie an den entgegen gerichteten politischen Prioritäten einiger konservativer Regierungen. Wenn die Mehrzahl der europäischen Regierungen dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit tatsächlich Vorrang einräumen, dann bieten sich ihnen dazu auch im Rahmen des Amsterdamer Vertages reichliche Möglichkeiten.
  4. Unter der Bezeichnung "Europäischer Beschäftigungspakt" hat dazu der Europäische Rat in Köln orientierende Beschlüsse gefaßt - Zitat:
  5. "Im Europäischen Beschäftigungspakt werden alle beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Union in ein umfassendes Gesamtkonzept eingebunden. Der Europäische Rat unterstützt die drei Säulen des Europäischen Beschäftigungspaktes und sieht darin auf längere Dauer angelegte und aufeinander abzustimmende Prozesse:

    • Koordinierung der Wirtschaftspolitik und Verbesserung des wechselseitigen Zusammenwirkens von Lohnentwicklung sowie der Geld-, Haushalts- und Finanzpolitik durch einen Makroökonomischen Dialog, um eine nachhaltige nicht-inflationäre Wachstumsdynamik freizusetzen (Köln-Prozeß).
    • Weiterentwicklung und bessere Umsetzung der Koordinierten Beschäftigungsstrategie zur Verbesserung der Effizienz der Arbeitsmärkte, durch die Verbesserung von Beschäftigungsfähigkeit, Unternehmergeist, Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer und gleichberechtigter Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit (Luxemburg-Prozeß).
    • Umfassende strukturelle Reform und Modernisierung zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit und der Effizienz der Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte (Cardiff-Prozeß)."
  6. Deutlich über das Niveau von Amsterdam hinaus weist die anschließende Formulierung:
  7. "Der Europäische Rat sieht im Makroökonomischen Dialog mit Vertretern des Rates, der Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Sozialpartner als Teilnehmer einen wirkungsvollen Ansatz zur Umsetzung der in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft niedergelegten wachstums- und stabilitätsorientierten makroökonomischen Politik."

  8. Schon seit Jahren leistet die Union einen wichtigen Beitrag zur Orientierung der nationalen Arbeitsmarktpolitik durch ihre vergleichende Berichterstattung aus der politischen Praxis – Beschäftigungsobservatorium. Diese Berichterstattung hat zu einer erheblichen Vereinheitlichung politischer Ansätze in den Mittgliedstaaten geführt und bildet die Grundlage für Best-Practice-Vergleiche – Benchmarking.
  9.  

    B. Vorschläge zur Weiterentwicklung europäischer Beschäftigungspolitik

    1. Standortwettbewerb und Dumping der Sozialstaatlichkeit in Europa

  10. Die meisten beschäftigungspolitischen Strategien, die gegenwärtig propagiert werden, laufen darauf hinaus, durch Kostensenkung den Nachbarstaaten Nachfrage und Beschäftigung wegzunehmen. Es sollte leicht einzusehen sein, daß solche Strategien nur dann wirksam sind, wenn sie auf einzelne Standorte (Länder oder Regionen) beschränkt bleiben. Wenn alle Standorte in gleicher Intensität die Kosten senken, heben sich deren Wettbewerbseffekte gegenseitig auf.
  11. Kostensenkungen haben aber nicht nur positive Wettbewerbseffekte. Über Einkommensausfällen der privaten Haushalte und über Einnahmeausfälle der öffentlichen Haushalte haben sie negative Nachfragewirkungen auf die Beschäftigung. Diese negativen Beschäftigungseffekte des Standortwettbewerbs heben sich in Europa nicht auf, sondern addieren sich vielmehr mit depressiven Folgen.
  12. Lohnhöhe und Sozialleistungsniveau spielen im Standortwettbewerb eine besondere Rolle. Die verbreiteten Ansätze sind:
    • Lohnzurückhaltung,
    • Lohndifferenzierung,
    • Senkung von Unternehmenssteuern,
    • Senkung der (sozialen) Nebenkosten.
  13. Ein umfassender Standortwettbewerb
    • reduziert die Staatsleistungsquote, also die Rolle des Sozialstaates,
    • senkt die Sozialstandards,
    • senkt die Massenkaufkraft.
  14. Aufgabe europäischen Politik ist es, den Standortwettbewerb zu regulieren durch Schaffung von Grenzen des Sozialdumpings bzw. von Mindeststandards
    • in der Sozialpolitik und
    • in der Steuerpolitik.

    2. Abstimmung von Lohn-, Finanz- und Geldpolitik

  15. Übermäßige Defizite der öffentlichen Haushalte und übermäßige Lohnerhöhungen der Arbeitnehmer haben inflationäre Wirkungen und gefährden die gesamtwirtschaftliche Stabilität. Stabilitätsorientierte Interventionen der Zentralbank richten sich vorwiegend gegen diese Inflationsursachen.
  16. Solche Zentralbank-Interventionen, die die Zinsen verteuern, schwächen aber notwendigerweise Konsumneigung und Investitionsbereitschaft. Sie vermindern dadurch das Wirtschaftswachstum und gehen in letzter Konsequenz zu Lasten der Beschäftigungsentwicklung.
  17. Möglichst hohe Beschäftigung setzt stetiges und hohes Wirtschaftswachstum voraus. Damit die Stabilitätspolitik der Zentralbank dieses Wachstum tolerieren kann, muß es von inflationärem Druck sowohl der Löhne als auch der öffentlichen Defizite frei gehalten werden.
  18. Eine optimale Wirtschaftsentwicklung setzt eine optimale Abstimmung von Lohnpolitik, Finanzpolitik und Geldpolitik voraus. An sich läge dafür ein europäischer Runder Tisch von Tarifpartnern, Regierungen und EZB nahe. Verständlicherweise scheuen Zentralbanken aber solche politischen Einbindungen aus Sorge, gegenüber den politischen Mächten den Kürzeren zu ziehen. Die EU hat daraus die Konsequenz gezogen, die Stabilitätsorientierung der öffentlichen Finanzen durch das politische Reglement des Stabilitätspaktes zu gewährleisten.
  19. Damit wird aber das Stabilitätsdilemma der Beschäftigung nicht gelöst. Denn auf der einen Seite veranlaßt die Sorge vor inflationären Lohnentwicklungen die Zentralbank weiterhin zu übermäßiger Vorsicht bei der Gestaltung ihrer Geldpolitik. Und auf der anderen Seite stehen die Gewerkschaften vor dem Dilemma: entweder durch zu hohe Lohnforderungen stabilitätspolitische Zentralbankinterventionen zu provozieren, oder durch zu weitgehende Lohnzurückhaltung das Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung zu hemmen.
  20. Aufgabe der europäischen Politik ist es, über den Stabilitätspakt hinaus einen europäischen Dialog von Sozialpartnern, Regierungen und Zentralbank über Stabilitätspolitik zu entwickeln, der einerseits eine inflationsfreie Lohn- und Finanzpolitik gewährleistet und andererseits eine verstetigende und wachstumsfördernde Geldpolitik ermöglicht.
  21. 3. Möglichkeiten des Staates zur Förderung von Wachstum

  22. Keynes hat recht: das Investitionsverhalten der Gewinneinkommensbezieher allein garantiert kein optimales Wachstum. Wachstum der privaten Investitionen setzt die Erwartung einer wachsenden Endachfrage voraus.
  23. Die einfachste Methode zur Ausdehnung dieser Endnachfrage wäre zwar die defizit-finanzierte Erhöhung der Staatsausgaben. Die ursprüngliche Hoffnung der Keynesianer, solche Defizite würden sich über das Wachstum der Steuereinnahmen refinanzieren, hat sich aber inzwischen als Illusion erwiesen. Wachsende Staatsverschuldung jedoch, die mit einer wachsenden Zinslast des Staates zu bezahlen ist, ist kein geeignetes Mittel der Wachstums- und Beschäftigungspolitik.
  24. Eine staatliche Wachstumspolitik muß sich deshalb im Rahmen der Stabilitätserfordernisse bewegen. Dafür liegen bislang keine wissenschaftlichen Konzepte vor. Ein Verzicht auf staatliche Wachstumsziele käme jedoch einem Verzicht auf Gewährleistung eines hohen Beschäftigungsniveaus gleich. Angesichts dieses Dilemmas hat Beschäftigungspolitik heute die vorrangige Aufgabe, pragmatische Ansätze der Wachstumsförderung zu entwickeln.
  25. Staatliche Förderung der Endnachfrage bedeutet heute in erster Linie die Induzierung privater Kreditaufnahme, insbesondere zur Finanzierung privater Investitionen.
  26. Aufgabe der europäischen Politik ist die Förderung insbesondere der privaten Investitionsneigung *):
    • Erhöhung der Erwartungssicherheit der Unternehmen durch mittelfristige Planung der öffentlichen Infrastrukturentwicklung in Europa (z.B. Transeuropäische Netze, Standards und Zeitpläne für neue Kommunikationstechnologien),
    • Förderung niedriger Zinsen durch die Geldpolitik der EZB im Rahmen des Stabilitätszieles,
    • Systematische Weiterentwicklung europäischer Instrumente zur Förderung privater Kreditaufnahme wie z.B. Bürgschaften und Zinsbonifikationen.

    4. Nachfrageausweitung in Bezug auf Dienstleistungen

  27. In einer vom technischen Fortschritt getriebenen Wirtschaft kann ein hohes Beschäftigungsniveau nur gesichert werden, wenn auch die private Massenkaufkraft in ausreichendem Maße menschliche Arbeitsleistungen nachfragt. Die Menschen können nicht erwarten, Beschäftigung zu finden, wenn sie ihre Arbeitsleistungen nicht auch kaufen wollen.
  28. In diesem Sinne haben sich die Hoffnungen auf eine "Tertiärisierung der Arbeit" bislang nicht erfüllt. Die viel diskutierte Tertiärisierung beschränkt sich in Europa weitgehend auf den Sektor der Produktionsunternehmen. Die finanzielle Nachfrage der Haushalte nach Dienstleistungen stagniert dagegen, wenn man vom öffentlich finanzierten "Medicare"-Sektor absieht.
  29. Vielfach wird demgegenüber auf das amerikanische "Jobwunder" verwiesen, das sich auf eine wachsende Nachfrage nach einfachen Dienstleistungen stützt. Niedriglöhne werden als Mittel zur Stimulierung privater Dienstleistungsnachfrage propagiert. In Wahrheit handelt es sich bei dieser Ausdehnung der Dienstleistungen vorwiegend um die ständige massenhafte Zuwanderung unqualifizierter Menschen, die um jeden Preis Arbeit finden müssen. Unqualifizierte und zu Dumpinglöhnen bezahlte Dienstleistungen sind aber keine akzeptabler Ausweg aus der europäischen Beschäftigungskrise.
  30. Warum findet die Tertiärisierung der privaten Nachfrage nicht statt, solange eine faire Bezahlung verlangt wird? – Eine nachhaltige Sicherung hoher Beschäftigung setzt die Lösung dieses Problems voraus.
  31. Aufgabe der europäischen Politik ist die Entwicklung von Strategien zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums privater Dienstleistungen und die Sammlung und Verbreitung erfolgreicher Beispiele (Benchmarking).
  32. 5. Strategien der Arbeitsumverteilung

  33. Die Verringerung des individuellen Arbeitsvolumens im Sinne einer Umverteilung der Arbeit hat in Europa in den vergangenen Jahrzehnte in erheblichem Maße zur Sicherung von Beschäftigung beigetragen. Als Instrument der Beschäftigungspolitik läßt sie sich gleichwohl nur begrenzt einsetzen: wenn sie die Produktionskosten erhöht, mindert sie die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Arbeitsplätze und erhöht den Rationalisierungsdruck; wenn sie mit Lohneinbußen verbunden ist, stößt sie auf den Widerstand der Arbeitnehmer.
  34. Arbeitszeitverkürzung ist über die Standortkonkurrenz ein europäisches Thema. Beschäftigungspolitisch läßt sie sich nur noch im Rahmen umfassender europäischer Verständigungen und Standards einsetzen, die diese Konkurrenz überwindet.
  35. Arbeitszeitverkürzung hängt primär von den Präferenzen der Arbeitnehmer ab. Individuelle und freiwillige Arbeitszeitarrangements stehen deshalb heute überall in der EU im Vordergrund: Teilzeitbeschäftigung, Altersteilzeit, Bildungsurlaub, Sabbaticals. Eine zentrale Rolle spielen dabei erfolgreiche Vorbilder aus einigen Mittgliedstaaten, insb. aus den Niederlanden.
  36. Aufgabe der europäischen Politik ist es, in diesem Bereich der Arbeitszeitpolitik Strategien, Standards und Beispiele zu entwickeln (Benchmarking).
  37. 6. Soziale Spaltung des Arbeitsmarktes

  38. Eine wachsende Bedeutung hat überall in der Union Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Problemgruppen:
    • Jugendliche,
    • Dauerarbeitslose,
    • Frauen,
    • Minderheiten,
    • Behinderte.
  39. Vielfach werden diese Probleme mit der Forderung nach Lohnsenkungen und Sozialabbau verbunden. Daraus erwachsen die vielfältigen Gefahren einer Zweidrittelgesellschaft.
  40. Die politischen Ansätze zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Problemgruppen sind einerseits Maßnahmen zur Berufsqualifizierung und andererseits öffentliche Lohnsubventionen in vielfältigen Formen. Vorbehalte gegen solche Ansätze resultieren aus der Tendenz privater Unternehmungen zur Ausbeutung solcher Subventionen – Mitnahmeeffekte. Auch Maßnahmen der staatlichen Berufsqualifizierung entlasten die Qualifizierungsinvestitionen von Unternehmungen.
  41. Aufgabe der europäischen Politik ist die Standardisierung aktiver Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die Rolle der öffentlichen Berufsbildung im Binnenmarkt, und die Entwicklung beispielhafter Strategien und Maßnahmen (Benchmarking).

*) Eine Ideensammlung dazu ist immer noch das Delors-Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" von 1993.zurück


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Anlage: Logik der Beschäftigungspolitik

A. Grundformel der Beschäftigungsentwicklung

Ist

Arbeitsproduktivität = reale Produktion / Arbeitsvolumen


(Geldwert)   (Stunden)

Aprod = Y / A

und Arbeitsvolumen = Beschäftigte * Arbeitszeit

(Personen)   (Stunden pro Person)

A = B * Z

dann ist         B = Y / (Aprod * Z)

Bezeichnet d eine Veränderung in %, dann ergibt sich daraus annähernd die Regel:

dB = dY – dAprod – dZ

Daraus ergeben sich folgende Regeln der Beschäftigungsentwicklung:

  1. Die Beschäftigung
    • wächst, wenn die reale Produktion wächst (Wirtschaftswachstum), und/oder
    • wächst, wenn die Arbeitszeit pro Beschäftigten sinkt, und/oder
    • sinkt, wenn die Produktivität steigt.
  2. Bei unveränderter Arbeitszeit wächst die Beschäftigung nur dann, wenn das Wirtschaftswachstum größer ist als das Produktivitätswachstum. Heute wächst die Arbeitsproduktivität in Deutschland durchschnittlich um 2-3% pro Jahr. Jedes Produktionswachstum eines Jahres, das unter dieser Marge liegt, läßt die Beschäftigung sinken. Um über erhöhtes Wirtschaftswachstum in 10 Jahren die Beschäftigung um 10% zu erhöhen, bräuchten wir 10 Jahre lang ein durchschnittliches Wachstum von 3-4%p.a.! Heute weiß niemand, wie ein solches Maß an Wachstum bewirkt werden kann.
  3. Wenn das Arbeitsangebot knapper wird, beschleunigt sich die Produktivitätssteigerung. Arbeitszeitverkürzung führt zum Teil zu Produktivitätssteigerung, also nur teilweise zu Beschäftigungsvermehrung.
  4. Logisch sind Wirtschaftswachstum oder Arbeitsumverteilung (= vielfältige Formen der Arbeitszeitverkürzung) die Bedingungen einer Beschäftigungsvermehrung.

Durchschnittliche jährliche Veränderungsraten
  Konjunkturzyklen
BRD-W BRD-W BRD-W BRD
1975-82 1982-87 1987-93 1993-96
Produktion (real) 1 +2,3 % +2,0 % +3,2 % +1,3 %
Arbeitsproduktivität 2 +2,8 % +2,4 % +2,7 % +2,8 %
Arbeitsvolumen 1-2~3 -0,5 % -0,4 % +0,5 % -1,5 %
Jahresarbeitszeit 4 -0,7 % -0,5 % -0,9 % -0,9 %
Erwerbstätige 3-4~5 +0,2 % +0,1 % +1,4 % -0,6 %

B. Logik des Wirtschaftswachstums

  1. Wirtschaftswachstum setzt in der Privatwirtschaft Nachfragewachstum voraus. Dabei sind 2 Formen grundsätzlich zu unterscheiden:
    • Standortwettberwerb = Umverteilung der Nachfrage zwischen Ländern oder Regionen durch Konkurrenz, durch die die Gesamtnachfrage unverändert bleibt;
    • Nachfrageexpansion = Wachstum der Gesamtnachfrage.

    Ein Standortwettbewerb über Kostensenkung führt nur dann zu einer Umverteilung der Nachfrage, wenn sich nicht alle Standorte an der Kostensenkung beteiligen.

  2. In der (statischen) Wirtschaftsrechnung eines Jahres sind die Summe aller Käufe = der Summe aller Arbeitseinkommen + aller Gewinne. Wenn nur die vorangegangenen inländischen Einkommen die künftige Nachfrage finanzieren, dann kann nicht mehr gekauft werden als zuvor, dann kann also die Nachfrage nicht wachsen. Nachfragewachstum speist sich entweder
    • aus zusätzlicher Exportnachfrage, oder
    • aus Abbau von Geldvermögen, oder
    • aus Geldschöpfung.
  3. Die produktive Mobilisierung von Geldvermögen erfolgt primär durch Investitionen. Der Wirtschaftstheorie zufolge geschieht dies dann, wenn die erwarteten Erträge aus Produktionsanlagen höher sind als die Verzinsung von Geldanlagen. Deshalb werden Gewinnerhöhungen und Zinssenkungen als Mittel der Wachstumssteigerung angesehen. Tatsächlich investieren die Unternehmungen aber in der Regel nur dann, wenn sie für ihre neuen Anlagen genügend zusätzlich Nachfrage erwarten. Wachsende Investitionen setzen erwartetes Nachfragewachstum voraus.
  4. Im wesentlichen wird Wirtschaftswachstum durch Geldschöpfung finanziert. Folgende Wege sind dabei zu unterscheiden:
    • Produzenten finanzieren zusätzliche Produktionen durch zusätzliche Kredite in der Erwartung wachsender Nachfrage nach ihren Produkten;
    • Konsumenten überziehen ihr Konto, ohne dafür fremde Ersparnisse in Anspruch zu nehmen, und finanzieren damit zusätzliche Käufe;
    • Regierungen finanzieren zusätzliche Ausgaben durch Geldschöpfung.
  5. Deficit spending des Staates hat mit diesem Vorgang solange nichts zu tun, solange das Defizit aus privaten Ersparnissen (Konsumverzicht) finanziert wird. Die Idee, Wachstum durch öffentlicher Kreditaufnahme anzuregen, zielt darauf ab, private Geldanlagen für die produktive Nachfrage zu mobilisieren, wenn und solange die Vermögensbesitzer selbst das Risiko von Investitionen scheuen.
  6. Solches deficit spending führt nur dann nicht zur wachsenden Staatsverschuldung, wenn es über Multiplikatoreffekte soviel Wachstum nach sich zieht, daß die zusätzlichen Steuereinnahmen eine rasche Tilgung dieser Kredite ermöglichen. In den 60er und 70er Jahren folgten die Bundesregierungen Kiesinger, Brandt und Schmidt diesem Konzept. Heute weiß niemand, ob ein solches deficit spending ausreichende Multiplikatoreffekten hätte, um sich selbst zu finanzieren.
  7. Originäres deficit spending im Keynesschen Sinne, das durch Geldschöpfung finanziert wird und weder Verzinsung noch Tilgung erfordert, schließt die heutige Geldverfassung aus. Art. 101 EGV verbietet es ausdrücklich. Ein wirksames staatliches Instrument können allerdings öffentliche Bürgschaften sein, die die Bereitschaft zu privater Investitionsfinanzierung erhöhen. Das Weißbuch Delors‘ von 1993 hat dieses nachfrageorientierte Konzept zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung propagiert.
  8. Antizyklische Wirtschaftspolitik will einerseits Rezessionen vermeiden, in denen das Wirtschaftswachtum ausfällt, andererseits übermäßiges Wachstum, das die Inflation beschleunigen und die Zentralbank zwingen würde, präventive wachstumshemmende Maßnahmen zu ergreifen. Eine stetige Wirtschaftsentwicklung erreicht höhere durchschnittliche Wachstumsraten als eine schwankende.
  9. Angebotsorientierte Konzepte können auf unterschiedliche Weise private Nachfrageausweitungen provozieren, insb. durch:
    • attraktive Produktinnovationen,
    • spürbare Preissenkungen.

    Die expansive Wirkung solcher Konzepte setzt aber voraus, daß eine zusätzliche Mobilisierung von Geldvermögen oder von Bankkrediten für den Kauf zusätzlicher Produkte erreicht wird.

  10. Inflationäre Wirkungen gehen von Nachfrageerhöhungen dann aus, wenn sie das vorhandene Produktionspotential überlasten. Längerfristig wird der Rahmen des realen Wachstums durch den laufenden Investitionsprozeß (Potentialwachstum) bestimmt.
  11. Hohe Beschäftigung ist mit Preisstabilität nur dann vereinbar, wenn es nicht zu überhöhten Lohnsteigerungen ausgenutzt wird.
  12. Eine Politik niedriger Zinsen erleichtert das Wirtschaftswachstum nur dann, wenn und sofern ausreichende Nachfrageerwartungen der Unternehmungen vorhanden sind. Eine Politik der Zinsverteuerung hat dagegen immer wachstumshemmende Wirkungen.

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Zuletzt geändert am 29.02.2000. Technische Kommentare bitte an: webmaster@gfp-linkloc.de